Freitag, März 21, 2008

Ein bißchen Naivität

"Meine Güte bist du naiv!"

Meist steckt in diesem Satz eine Wertung - meist ist sie nicht positiv. Jemanden als naiv zu bezeichnen wird oft gleichgesetzt mit mangelndem Realitätssinn, mit mangelndem Reflexionsvermögen, mit dem Vorwurf mit Scheuklappen durch die Welt zu laufen oder wahlweise mit einer rosaroten Brille. Naive Menschen lassen sich leicht austricksen, sind angreifbar, übertölpelbar und bisweilen leicht vorführbar.

Die Synomyme für "naiv" bilden ein weites Wortfeld und schließen mannigfaltige Deutungen mit ein,
Auf der "Haben-Seite" nach meinem Empfinden: natürlich, unbefangen, treuherzig, arglos, gutgläubig, kindlich, ohne Hintergedanken, unbedarft

Auf der "Soll-Seite" nach meinem Empfinden: ahnungslos, kritklos, nichtsahnend, unfertig, unkritisch, einfältig, unreif

Ich möchte mich mehr der "Haben-Seite" zuwenden, dem was ich an Naivität bestechend finde und dem was ich mir selbst an Naivität erhalten möchte.

Denn manchmal bin ich arglos ohne einfältig zu sein, manchmal bin ich gutgläubig ohne kritiklos zu sein, manchmal bin ich unbedarft ohne nichtsahnend zu sein - und am liebsten möchte ich natürlich, unbefangen und ohne Hintergedanken an meine Mitmenschen herantreten. In diesem Sinne pflege ich meine Naivität.

Meine Naivität möchte ich mir erhalten - sie erleichtert mein Leben, sie lässt mich vom Guten ausgehen ohne das Schlechte zu leugnen. Sie macht es mir möglich Positives zu nutzen ohne deswegen Negatives zu übersehen.
Meine Naivität hat dazu geführt, dass in meinem Leben Freundschaften noch niemals im erbitterten Streit auseinandergegangen sind - weil ich niemals einen Grund sah die Ansischten oder Einsichten oder Verhaltensweisen eines Freundes derart zu kritisieren, dass darüber ein Streit entbrannt wäre. Sicherlich sind manche Freundschaften auseinandergegangen, aber eher schleichend, weil die Lebenswege sich auseinanderentwickelten und weil die Gemeinsamkeiten schwanden - niemals weil die Differenzen zunahmen. Eine Entwicklung von Menschen die ich schätze weg von dem, was ich für richtig oder wichtig erachte, hin in eine Richtung, die ich persönlich für nicht positiv halte, führt nicht dazu, dass ich mich persönlich angegriffen fühle, sondern lediglich zu einem loslassen meinerseits. Das heißt nicht im mindesten, dass ich nicht mit meinen Freunden hitzige Diskussionen führen kann - meist sogar die besten überhaupt.

Meine Naivität führt auch dazu, dass ich generell erst einmal davon ausgehe, dass Menschen, die sich zusammenfinden auch ein ähnliches Ziel haben. Dabei nehme ich in Kauf, dass dies nicht für alle zutrifft, aber ich suche nicht nach denen, die eventuell Störenfriede sein könnten, sondern beschäftige mich mit denen, von denen ich glaube, dass sie die gleichen Ziele verfolgen wie ich. Dies ist für mich ein "Energiesparmodell" - es enthebt mich der Notwendigkeit mich mit potentiellen Problemen zu sehr zu beschäftigen, es enthebt mich auch der Notwendigkeit überall in meinem Leben "Sicherheitskontrollen" und sonstige "Überwachungsmaßnahmen" zu installieren. Die Kosten/Nutzen Rechnung ist dabei für mich ganz einfach. "Welche Energie muss ich in die Problempropyhlaxe stecken" versus "welchen Schaden kann das potentielle Problem bei mir überhaupt anrichten". Meist ist der potentielle Schaden nicht so hoch, dass sich hohe Sicherheitszäune lohnen würden.

Meine Naivität führt allerdings nicht dazu, dass ich breit gefächert jedem Menschen um den Hals falle und ihm im übertragenen Sinne meine Bankverbindung aufnötige. Aber sie lässt mich auch mit manchen persönlichen Dingen sehr offen umgehen, da ich glaube, dass Offenheit der beste Schutz vor Attacken aus dem Hinterhalt ist.

Manchmal mache ich mit meiner Naivität Erfahrungen, die mich Staunen lassen, dann wenn Angriffe aus unerwarteten Richtungen oder in unerwarteter Schärfe kommen. Dann heißt es innehalten und einen Moment verharren die Arglosikeit beiseite zu schieben und wahrzunehmen was überhaupt passiert.
Die Grenzen meiner Naivität sind da erreicht, wo man versucht mir Dinge überzustülpen, die mir nicht gehören. Ich ziehe bei weitem nicht arglos und unkritisch jeden Schuh an, den irgendjemand in den Raum stellt. Ich sehe mich durchaus in der Lage meine Position deutlich zu aritkulieren. Wenn der Versuch eine Einigung, oder zumindest gegenseitiges Verständnis zu wecken, auf der kommunikativen Ebene nicht klappt finde ich das durchgängig schade - weil ich wie Eingangs schon gesagt gerne an das Positvie glauben mag. In diesen Fällen wünsche ich mir einen Rückzug auf die neutrale Ebene - eine Art "Nichtangriffspackt" - kein Ignorieren, aber ein sich aus dem Weg gehen. Meistens funktioniert dies gut - vielleicht weil ich manchmal naiv bin.

Für mich ist deshalb "Ein bißchen Naivität" eine Lebenseinstellung, die ich für mich persönlich als passend erachte.


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