Donnerstag, Dezember 27, 2007

EINS bis DREI

Auf meinem PC sammeln sich bisweilen angefangene Geschichten, die vor sich hin dümpeln und nicht vorwärts kommen. Diese hier ist eine davon - namenlos - nur mit Zahlen über den Abschnitten.



EINS

Seine Hand griff wohl zum hundersten Mal an diesem nicht enden wollenden Freitagvormittag zu dem kleinen unscheinbaren Anhänger an seinem Hals. Viktor deutete sein unwillkürliches Lächeln wohl als Aufforderung weiterzuerzählen und um den ganzen die Krone aufzusetzen, zog er jetzt ein paar Fotos aus seinem Geldbeutel, die triumphierend viel zu dicht vor Marcuss Augen hielt, so dass dieser lediglich ein paar verschwommene Umsrisse wahrnehmen konnte. Es würde sich wohl um seine Freundin handeln, die er in hektischer Eile zu heiraten gedachte, damit sie beide endlich aus der elterlichen Enge ausziehen konnten.

Seine Finger ertasteten die kleine Rune, die auf der Vorderseite eingraviert war. Am Dienstag hatte er die Kette mitsamt Anhänger auf seinem Frühstücksteller vorgefunden. Wie jedes Mal hatte er sie ein paar Minuten in den Händen gehalten, die Kette um seine Finger gewickelt, den Anhänger ausgiebig betrachtet und war über sein Zögern selbst erstaunt.

Alexander war schon in seinem Arbeitszimmer verschwunden um noch irgendwelche staubigen Akten zusammenzupacken über denen er die letzten Wochen nächtelang gebrütet hatte. Diese Kette zu tragen war ein Versprechen, ein einseitiges, eines das er gerne gab und das ihn doch jedes Mal in Zweifel stürzte, Zweifel die er mit einem Schluck Kaffee herunterspülte bevor er mit einem Seufzer den Verschluss in seinem Nacken schloss und den Moment genoss den das Metall kalt auf seiner Haut brannte, bevor es seine Körpertemperatur annahm und zu einem Teil von ihm wurde.

Alexander kam, sein Hemd zuknöpfend noch mal in die Küche um den letzten Bissen des Brotes in den Mund zu schieben. Mit einem mehr zu erahnenden denn zu sehenden Lächeln quittierte er Marcus` Entscheidung, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und sagte: Warte nicht auf mich heute Abend, es wird spät werden.

ZWEI

Er hasste sie, diese Armmanschetten, von Anfang an und immer noch und immer wieder. Alexander tat nichts, um es ihm leichter zu machen. Während er routiniert die Schnallen schloss blieb sein Gesicht unbewegt, genauso wie sein Stimme, die ihn anwies sich wieder hinzulegen. Er ließ sich zurückfallen, streckte die Arme und Beine aus, unwillig, aber nicht unwillig genug, dass es als Ungehorsam hätte gelten können – unbeteiligt eher, mit einem kleinen Widerstand, den er nicht unterdrücken konnte. Alexander war schnell – keine verhedderten Seile, keine Scherze darüber, dass es aber so aussehe als würde es halten, keine zärtliche Berührung, kein Klaps auf den Po, gar nichts. Im Raum war es unglaublich still.

„Du zappelst mir zu sehr durchs Bild“ war sein lapidarer Kommentar gewesen. Klar zappelte er durchs Bild. Seit Tagen Vorfreude auf ein Spielwochenende. Er hatte eingekauft, war quer durch die ganze Stadt gefahren, Schlange gestanden, hatte den ganzen Nachmittag mit Vorbereitungen zugebracht, gekocht, Tisch gedeckt, zwischendurch unter die Dusche gesprungen, vorm Kleiderschrank gestanden, Bett frisch bezogen, während seine Lieblings-CDs die Wände zum wackeln brachten. Er war zu Tode erschrocken, als sich plötzlich Zähne in seinen Nacken gruben, während er den Salat putzte. Er hatte Alexander nicht kommen hören. Dieser stand jetzt hinter ihm und feixte – und brüllte ihm ins Ohr: „Du machst dir deine Deprivation selber – brav, brav.“ Nahm sich ein Salatblatt aus dem Sieb und verschwand wieder aus der Küche.

Frank und Karin standen pünktlich vor der Tür. Alexander hatte sie empfangen und ins Wohnzimmer geleitet, während Marcus noch pfeifend in der Küche die letzten Vorbereitungen traf.

Das Ragout war von eigenartigem Geschmack, mit der Schärfe von Ingwer und der Bitterkeit von Grapefruit, er war gespannt auf Alexanders Gesicht. Die Grapefruit war ein glücklicher Zufallsfund gewesen und er hatte sie wie ein Heiligtum nach Hause getragen. Statt kreischender Metal-gitarren untermalte jetzt entspannter Jazz die Tafel und unterstrich die entspannte Runde.

Frank hatte ein Dauergrinsen auf dem Gesicht – wahrscheinlich hatten er und Karin über Monate keine Gelegenheit gefunden sich zu treffen. Karin war für ihre Verhältnisse fast übermütig gut gelaunt und wagte die eine oder andere spitze Bemerkung in Richtung Frank, der dies mit einem hintergründigen Lächeln quittierte.

Über Alexanders Gesicht war erfreutes Erstaunen gehuscht, als er das Ragout probierte, das seine wenigen funktionierenden Geschmacknerven ansprach. Frank, Karin und Marcus aßen es mit heldenhafter Tapferkeit und fast ohne merkliches Stocken.

Marcus genoss die Vorfreude, wunderte sich, dass sein Halsband ihm gar nicht peinlich war, nicht mal vor Frank. Er huschte zwischen Küche und Esszimmer hin und her – gelegentlich ging ihm Karin zur Hand und bei den letzten Vorbereitungen zum Dessert alberten sie in der Küche herum wie ausgelassen Kinder, während Alexander und Frank sich offensichtlich auf ihre Art einstimmten auf den weiteren Fortgang des Wochenendes, wie sich an ihren leicht amüsierten Gesichtern ablesen ließ.

Schließlich hoben sie die Tafel im allgemeiner Übereinstimmung fast hektisch auf. Frank und Karin verschwanden nach unten in Marcuss Wohnung und er und Alexander waren endlich allein.

DREI

Es war kühl, dunkel und einsam. Er war wütend. Mit Händen und Füßen am Bettpfosten fixiert lag er nun schon unbestimmte Zeit hier. Ein paar mal war er eingenickt um jedes Mal wütender zu werden, wenn er wieder aufwachte. Die Tür zum Flur stand auf, auch die zum Wohnzimmer, wie er am Ticken der dortigen Uhr hören konnte. Alexander war nicht fort – nein – aber es fühlte sich so an.

Alexander schlug zu, hart und präzise, wortlos. Marcus gab den Versuch an den Fesseln zu ziehen auf. Er selbst hatte die Haken montiert, sie würden halten. Vielleicht machte dies den letzten Tropfen Bitterkeit aus. Er zog sich in sich zurück, weg vom Schmerz, weg von Alexander. Er wollte so nicht spielen – und er würde, verdammt noch mal, so nicht spielen. So nicht! Der Schmerz gestattet ihm den Rückzug nicht lange und als er nicht mehr schweigen konnte transportieren seine Schreie die Wut und den Zorn, den Widerstand. Nein, so nicht!

Schließlich band Alexander ihn los. Strich über seine geschundene Haut. „Schön sieht das aus, steht dir wirklich gut.“ Sie waren beide erschöpft und Marcus suchte Alexanders Nähe, seine Wärme, genoss seinen Duft. Fast unmerklich allerdings reflektieren die Wände seinen zuvor herausgeschrienen Zorn und er wurde sich der verhassten Manschetten, die er immer noch trug wieder unangenehm bewusst. Er hielt Alexander sein Hände hin. „Bitte mach sie ab.“ bat er leise. „Nein!“ antwortete Alexander gelassen. Marcus fing an zu diskutieren, während er gleichzeitig immer näher an Alexander heranrückte, die Hände auf seine Haut genoss, sich sehnte nach Zärtlichkeit, nach zärtlicher Härte, nach Umsorgt-werden. „Bitte mach sie los“ bettelte er zum wiederholten Mal, gerechtfertigt mit dem Hinweis, dass er doch jetzt schon so viel ausgehalten habe.

Alexanders Körper spannt sich, er richtete sich auf, griff nach dem Ring am Halsband und sah ihm in die Augen: „Nein!“. Marcus fing an zu jammern, es geht nicht, ich kann das nicht, ich ertrage es nicht. In Marcus Stimme mischte sich Wut mit Enttäuschung, „Ich kann nicht! – Mach sie ab!“

Stille brach für einen Moment über den Raum herein wie ein Sturm

„Du kannst, du wirst, du bist noch lange nicht bei ROT. Begib dich zu meinen Füßen!“ Alexanders nahm Marcus’ Arme, überwand den wächsernen Widerstand der sich im bot mit Leichtigkeit und fixierte sie am Bettpfosten, desgleichen die Beine. Mit schnellen Bewegungen löste er das Halsband von Marcus’ Hals, schritt zur Tür und sagte: „Du willst spielen. Du willst unten spielen. Tu es oder brich es ab.“ Dann löschte er das Licht und ging.

(c) dare_or_not 2007


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